- Geräteabstimmung beim Fliegenfischen -

  Die optimale Abstimmung von Fliegenrute und Fliegenschnur
 


Ein großer Unterschied zu anderen Arten des Angelns liegt beim Fliegenfischen in dem Bereich des Werfens. Man wirft gewissermaßen mit dem Gewicht der Fliegenschnur und eben nicht mit dem Gewicht des Köders selbst oder z.B. einem zusätzlich montierten Bleigewicht. Genau deshalb spielt für den Erfolg beim Fliegenfischen die optimale Abstimmung von Rute und Schnur eine ganz erhebliche Rolle innerhalb der gesamten Geräteabstimmung.
Sehr gut definierbar sind die Anforderungen an die Gerätezusammenstellung, welche sich aus den Gegebenheiten des anvisierten Fischwassers und dem charakteristischen Verhalten der darin lebenden Zielfische ergeben.
Weniger klar sind anfangs bestimmte Vorlieben für gerätespezifische Unterschiede wie z.B. den unterschiedlichen Biegekurven der erhältlichen Fliegenruten, die sich erst zunehmend im Laufe der Zeit bei jedem Einzelnen heraus kristallisieren werden.

Die Schnurklassenempfehlung
Wo setzt man im ersten Schritt der Abstimmung von Rute und Schnur am besten an – bei der Wahl der Fliegenrute oder der Fliegenschnur?
Tatsächlich wird vielfach zuerst die Fliegenrute ausgewählt. Dies liegt nicht zuletzt an dem zumeist deutlich höheren Anschaffungspreis der Fliegenrute, weshalb ihr oft die größere Bedeutung beigemessen wird. Sehen wir uns zunächst also die Fliegenrute etwas genauer an.
Fliegenruten unterscheiden sich im Wesentlichen in ihrem Gesamtgewicht, der Biegekurve, der Größenordnung ihrer Biegung unter einer bestimmten Belastung, ihrer Länge und den Eigenschaften der Einzelkomponenten.

Der entscheidende Punkt im Hinblick auf die optimale Abstimmung mit der Schnur ist hierbei die Größenordnung der Biegung unter einer bestimmten Belastung. Für das optimale Harmonieren von Fliegenrute und Fliegenschnur ist es wichtig, dass während des Werfens eine möglichst optimale Biegung der Fliegenrute entsteht, nämlich weder zu viel noch zu wenig Biegung.
Da beim Fliegenwerfen die Länge der Fliegenschnur, welche sich außerhalb der Rute in der Luft befindet, nicht konstant ist, ändert sich auch das Wurfgewicht permanent mit. Der Rutendesigner geht bei der Konzeption der Rute von durchschnittlich zu erwartenden Schnurlängen mit entsprechendem Gewicht, sowie von einer maximalen Belastungsgrenze für den von ihm vorgesehnen Anwendungsbereich der jeweiligen Rute aus. Hierfür legt er eine Schnurklassenempfehlung fest. Diese wird entsprechend auf der Rute vermerkt. Die jeweilige Schnurklasse steht dabei für ein bestimmtes Schnurgewicht auf einer bestimmten Schnurlänge. Sehen Sie hierzu den Bericht: >>Was ist AFFTA?
Ein großer Irrtum besteht in der Fehlinterpretation, Fliegenruten seien in verschiedene Klassen eingeteilt. Diese Fehlinterpretation führt immer wieder zu Fehleinschätzungen, schlechten Beratungen und letztlich zu Fehlkäufen!
Tatsächlich gibt es zwar bereits verschiedene Methoden der Rutenklassifizierung wie z.B. der „Commen Cent Meßmethode“ (nach Dr. Bill Hanneman), jedoch finden diese in der Rutenindustrie bisher keine nennenswerte Anwendung. Die meisten Rutenhersteller beschriften ihre Ruten mit der Längenangabe der Rute und der Empfehlung für die passende Schnurklasse der Schnur für den vorgesehenen Anwendungsbereich der Rute.






Die Bedeutung für die Praxis
Schauen wir uns ein konkretes Beispiel aus der Praxis der Küstenangelei auf Meerforellen an. Die Meerforellen fressen zu einem großen Anteil Sandaale und Heringe, also kleinere bis mittelgroße Futterfische. Entsprechend große Fliegenmuster benötigt man, um diese Nahrung erfolgreich zu imitieren.
Um diese großen und oft  zusätzlich beschwerten Fliegen bei den entlang der Küste vorherrschenden oft windigen Situationen gut werfen zu können, bedarf es eines soliden Wurfgewichtes, also einer entsprechend schweren Fliegenschnur. Viele erfahrene Küstenfliegenfischer verwenden hier Wurfgewichte zwischen 17 und 20 Gramm. Dieses Wurfgewicht sollte also im Bereich der sogenannten Keule der Fliegenschnur befindlich sein.
Wenn man sich die meisten Fliegenschnüre der verschiedenen Hersteller ansieht, findet man dieses Gewicht bei zur Küstenangelei passenden Fliegenschnüren mit dem Aufdruck AFFTA(AFTMA)-Klasse 7-9, also in den meisten Fällen bei einer 8er Schnur. Leider halten sich längst nicht alle Hersteller an die Vorgaben zur Schnurklassifizierung nach AFFTA, insofern kommt es hier zu Abweichungen bzw. Schwankungen. Am besten fragt man konkret im Fachhandel oder z.B. bei einer Fliegenfischerschule nach, wie schwer die Keule einer Fliegenschnur tatsächlich ist!
Wenn man nun das zur Küstensituation passende Schnurgewicht weiß, gilt es, eine passende Rute für eine entsprechende Schnur zu finden.
An dieser Stelle ist große Erfahrung im Gerätebereich unerlässlich, denn es ist durchaus gut möglich, dass z.B. eine Fliegenrute mit einer Schnurklassenempfehlung 6 oder sogar 5 zu der anvisierten 8er Schnur passt!


Wie kann dies sein? - werden Sie sich fragen.
Wenn der Rutenhersteller z.B. eine Rute für das „Inder-Luft-Halten“ von 20m langen Schnurkeulen der Klasse 5 ausgelegt hat, so wird diese Rute mit 22m Schnurkeule der Klasse 5 an ihre Leistungsgrenze stoßen, während sie mit einer 9m kurzen Schnurkeule der Klasse 5 erheblich unterfordert sein wird. Verwendet man nun eine 9m kurze Keule für die Küstenangelei auf dieser Rute, so wird die Keule einer 8er Schnur in etwa das gleiche (und zwar gut passende) Gewicht wie die 20m Keule der 5er Schnur mit sich bringen.
Die Schnurklassenempfehlung ist also immer nur ein Anhaltspunkt für einen bestimmten vom Rutendesigner vorgesehenen Anwendungsbereich. Dennoch können Sie diese Rute ggf. natürlich auch hervorragend für ganz andere Bereiche nutzen!








Nochmal:
Die Schlüsselantwort auf die Frage nach einer passenden Rute für die Küstenangelei ist also das Wurfgewicht mit dem die Experten ihre (gut abgestimmten) Ruten belasten und nicht die auf der Rute aufgedruckte Schnurklassenempfehlung nach AFFTA! Dieser Punkt läst sich natürlich auf alle fischereilichen Bereiche des Fliegenfischens übertragen und gilt nicht nur für die Küstenangelei.

Noch ein Praxisbeispiel
Ihr Zielgewässer ist ein kleiner Bach, nur wenige Meter breit, mit glasklarem Wasser und überwiegend sehr flachen Bereichen. Die Zielfische, kleinere Bachforellen, verhalten sich entsprechend vorsichtig und reagieren sehr heikel auf jede Bewegung entlang des Gewässers. Sie ernähren sich überwiegend von den verschiedenen zumeist kleineren Insekten, die im und am Gewässer leben.
Diese Situation ist optimal für das Fischen mit kleinen Trockenfliegen und sehr kleinen Nymphen. Um diese sehr kleinen Fliegen werfen zu können, benötigen Sie vergleichsweise sehr wenig Schnurgewicht.
Dies passt ebenfalls optimal zur Gesamtsituation, denn die Bachforellen sind hier sehr heikel, und das Aufwassern einer sehr leichten Fliegenschnur hat erheblich weniger Scheuchwirkung auf die Fische!
Durch die geringe Gewässerbreite werden Sie nur wenig Schnurlänge außerhalb Ihrer Rute in der Luft führen können. Sie brauchen also bereits bei geringer Schnurlänge ein möglichst gut zur Rute passendes Wurfgewicht!
Zusätzlich empfiehlt sich hier eine vergleichsweise sehr kurze Rute, denn so führen Sie mehr Schnurlänge außerhalb der Rute und können den Nahbereich besser kontrolliert befischen!
Kurzum ich selbst würde mich hier für eine Fliegenschnur der Klasse 4 entscheiden. Wegen der sanften Präsentation würde ich keine besonders abrupte Verjüngung im Frontbereich der Fliegenschnur wählen.


Die Rute sollte so ausgelegt sein, dass sie schon mit 5 oder 6m Schnurlänge außerhalb der Rute eine gut passende Biegung beim Werfen aufweist.
Typischerweise dürfte hier eine Rute, welche ursprünglich für die Schnurklasse 2 oder 3 ausgeschrieben wurde, optimal passen. Viel Toleranz nach oben wird diese Rute nicht haben. Sie werden diese Rute also nicht mit einer etwas schwereren Fliegenschnur anderweitig verwenden können. Doch für die oben geschilderte Situation haben Sie so die optimale Zusammenstellung.
Dennoch möchte ich Ihnen einen weiteren Hinweis nicht vorenthalten:
Ein so leichtes Gerät erfordert durchaus ein gutes Maß an Wurfgefühl und ist an windigen Tagen leicht einmal "aus der Zielgeraden geblasen".
In der Anfangszeit kann deswegen je nach exakter Situation in der Summe die 6er Schnur auf der für Schnurklasse 4 ausgelegten Rute einen Vorteil im Vergleich zur 4er Schnur auf der für Schnurklasse 2 ausgelegten Rute bringen, wenn Sie vermutlich auch einige der heiklen Forellen aufscheuchen werden.
Sie merken schon, um eine sehr gute Beratung mit viel Hintergrundwissen kommt man anfangs einfach nicht herum!

Ohne Erfahrung geht es oft nicht

Durch die immer wieder vorkommenden Abweichungen innerhalb der Schnurklassifizierungen der Schnurhersteller von den offiziellen Vorgaben der AFFTA-Gesellschaft, sowie durch die Differenzen des tatsächlichen Anwendungsbereiches der Fliegenrute zu dem vom Designer ursprünglich zu Grunde gelegten Anwendungsbereich und den herstellungsbedingten Schwankungen innerhalb einer Produktlinie bleibt ein hohes Maß an Erfahrung für eine optimale Geräteabstimmung unerlässlich. Dies ist insbesondere der Fall, wenn Rute und Schnur von unterschiedlichen Herstellern stammen.








Fazit
Grundsätzlich sollte man zuerst die Anforderungen der Situation am Fischwasser verstehen lernen, bevor man sich darauf basierend für das - auf einer passenden Keulenlänge verteilte, optimal passende Wurfgewicht entscheidet.
Mit dieser Vorgabe kann man entweder die Fliegenrute oder die Fliegenschnur zuerst wählen.
Bei der Fliegenrute sollte zusätzlich zum Wurfgewicht natürlich auch die Rutenlänge gut zur Situation passen.
Ich selbst stelle mein Gerät vom Fisch in seinem jeweiligen Fischwasser mit den resultierenden Anforderungen über die passende Fliege, das Vorfach, die Fliegenschnur hin zur Rute zusammen! Und auch für mich ist das Probewerfen der letzte und wichtigste Schritt vor der endgültigen Kaufentscheidung.  Hierbei versetze ich mich gedanklich in meine Situation an meinem Gewässer!

Ich hoffe, ich konnte mit meinem Bericht eine zusätzliche Hilfestellung für die typische Kaufsituation im Fachhandel geben, bei der viele Kunden oftmals der nicht ganz optimalen Fachberatung teils hilflos ausgeliefert sind. Einige Vorkenntnisse sind hier oft von unschätzbarem Wert!

Ich wünsche Ihnen eine schöne Zeit am Fischwasser, bei der gut abgestimmtes Gerät das Gerät selbst oft zur Nebensache werden läst!

Herzlich Ihr und Euer
Bernd Ziesche


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